Wider die Ammenmärchen
Nicht die Linken, die Konservativen zerstörten die Weimarer Demokratie
Von Wolfgang Wippermann
»Wir haben ihn engagiert«, erklärte der Vizekanzler Franz von Papen am 30. Januar 1933. Gemeint war Hitler, der einem Kabinett vorstand, das von den Konservativen dominiert war. Den zwei nationalsozialistischen Ministern Frick und Göring standen nämlich neun konservative gegenüber, die keineswegs bereit waren, ihre Macht an Hitler und die Nationalsozialisten zu übertragen. Daher ist das Gerede von der Machtübertragung fast ebenso falsch wie die Übernahme des nationalsozialistischen Propagandabegriffs »Machtergreifung«. Was am 30. Januar 1933 wirklich geschah, war ein Bündnis zwischen Konservativen und Faschisten. Dass es den Faschisten gelingen sollte, in wenigen Monaten ihren konservativen Bündnispartner auszuschalten, war nicht unbedingt vorauszusehen.
Unübersehbar war dagegen schon am 30. Januar 1933, dass die Weimarer Republik keine funktionsfähige Demokratie mehr war. Sie war bereits weitgehend zerstört worden. Dies wiederum keineswegs nur von den Nationalsozialisten, sondern weit mehr von den konservativen Eliten, welche die Demokratie von Anfang an erbittert bekämpft haben.
Fangen wir mit meinem Berufsstand – den Professoren – an. Sie haben die Demokratie nahezu geschlossen abgelehnt. Zu den Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, gehörte der Historiker Friedrich Meinecke, der immerhin zum »Vernunftrepublikaner« geworden war, um jedoch gleichzeitig ein (antidemokratischer) »Herzensmonarchist« zu bleiben. Die Studenten waren nicht viel besser und teilweise noch antidemokratischer als ihre Professoren. Nicht zu verstehen ist, dass auch die protestantischen Pastoren das antidemokratische Kaiserreich verherrlichten und die neue Demokratie verteufelten. Schließlich hatte ihnen keiner was getan und nichts weggenommen; weder den schulischen Religionsunterricht noch die staatliche Kirchensteuer.
Noch antidemokratischer und zudem von den demokratischen Instanzen kaum kontrolliert war die Reichswehr, deren Offizierskorps sich vornehmlich aus der feudalen Herrenschicht des Kaiserreichs zusammensetzte. Juden hatten hier keinen Platz. Es gab keinen einzigen jüdischen Offizier in der Reichswehr. Dies allein deutet auf eine antisemitische Einstellung hin. Antisemitisch und antidemokratisch waren auch große Teile des Beamtentums und der Richterschaft. Die Weimarer Republik war eine Demokratie fast ohne Demokraten.
Eine Ausnahme schienen die Industriellen zu sein. Hatten sie doch die parlamentarische Demokratie zunächst anerkannt, weil sie als das geringere Übel gegenüber der von Karl Liebknecht am 9. November 1918 ausgerufenen »sozialen Republik« angesehen wurde. Im Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918 bekannten sich die Unternehmer sogar zur Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften. Doch keine zehn Jahre später kündigten sie diese wieder auf. Anlass war der Ruhreisenstreik von 1928, auf den die Unternehmer mit der gesetzwidrigen Aussperrung ihrer Arbeiter reagierten. Von den im Reich noch regierenden Sozialdemokraten wurde dies widerstandslos hingenommen. Damit war die Weimarer Republik keine soziale Demokratie mehr. Zwei Jahre später – 1930 – war sie überhaupt keine Demokratie mehr. Statt dessen wurde sie schrittweise in eine Diktatur umgewandelt.
Ein wesentlicher Anstoß ging wiederum von den Industriellen aus. Auf ihren Druck hin sprengte die industriehörige DVP die letzte noch funktionierende Reichsregierung unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller. Müllers Nachfolger, der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, regierte dann ohne und gegen das Parlament durch die missbräuchliche Anwendung des Notstandsartikels 48 der Weimarer Reichsverfassung – dies mit dem (später von ihm selber zugegebenen) Ziel, das antidemokratische Kaiserreich zu restaurieren.
Dazu ist es zwar nicht gekommen, aber eben auch nicht zur Wiederherstellung der eigentlich schon 1930 untergegangenen parlamentarischen Republik. Im Gegenteil: Brünings Nachfolger Franz von Papen stürzte am 20. Juli 1932 auch noch die so mächtig scheinende preußische Landesregierung unter Otto Braun (SPD). Dies war zwar völlig illegal, fand aber gerade deshalb den Beifall der konservativen Eliten. Jetzt war man die verhassten Sozialdemokraten los.
Die bürgerlichen Parteien verhielten sich still oder hielten es wie die linksliberale DDP für nötig, sich mit dem antidemokratischen und antisemitischen Jungdeutschen Orden zu verbünden. Das ohnehin von Anfang an schwache liberale Bürgertum dankte völlig ab und überließ das politische Feld den Konservativen. Deren politischer Favorit war zunächst der General Kurt von Schleicher, der 1932 mit dem Ziel Reichskanzler geworden war, eine Militärdiktatur zu errichten. Dazu war die Reichswehr auch bereit. Doch als Schleicher Kürzungen der staatlichen Subventionen für die ostelbischen Junker ankündigte, wurde er von seinen konservativen Gesinnungs- und adligen Standesgenossen fallen gelassen. Zusammen mit den führenden Industriellen setzten sich die Repräsentanten der feudalen Großgrundbesitzer beim Reichspräsidenten von Hindenburg für die Ernennung Hitlers zum Chef einer konservativ-faschistischen Minderheitsregierung ein. Damit war die Weimarer Republik zwar noch keine faschistische Diktatur, aber schon längst keine Demokratie mehr.
Zerstört worden ist diese Demokratie von den konservativen Eliten und keineswegs von den linken und rechten »Extremisten«. Mit diesem politologischen Ammenmärchen wollen die Konservativen nur von ihrer Schuld ablenken, die sie durch die Zerstörung der Demokratie von Weimar und das darauf folgende Bündnis mit Hitler auf sich geladen haben.
Aus der Feder des emeritierten Professors der FU Berlin erschienen im vergangenen Jahr die Bücher »Die Deutschen und der Osten« sowie »Agenten des Bösen« und kommt demnächst eine Replik auf Eva Herrman u. a. heraus.
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ePaper – 26. Januar 2008