Bringmann und seine Brüder

1933 begann für die Lübecker Familie Bringmann eine lange Leidenzeit

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Fritz Bringmann heute (rechts) und auf einem Familienfoto zur Silberhochzeit seiner Eltern 1932 (unten, 2. von links)
Fotos: Christian Trost; privat

Von Ingrid Heinisch

Die Machtergreifung durch die Nazis hatte sich für die Familie Bringmann schon lange drohend angekündigt. Acht Brüder waren sie; sechs von ihnen und der Vater sollten zusammen einige Jahrzehnte Haft erfahren. Einer von ihnen – Fritz Bringmann – wird in ein paar Tagen 90 Jahre alt. Er hat sein ganzes Leben nach dem Krieg dafür eingesetzt, dass die nationalsozialistischen Verbrechen nicht vergessen werden. Er ist aber auch der Chronist der Geschichte seiner Familie.
Die Familie Bringmann blickte auf eine lange sozialdemokratische Tradition zurück. Der Großvater gehörte zu den Gründungsmitgliedern der SPD und hatte schon wegen des Sozialistengesetzes im Gefängnis gesessen.
1933 waren sowohl Vater Heinrich Bringmann als auch die älteren Söhne gegen die Nationalsozialisten aktiv. Allerdings hatten sie verschiedene Wege eingeschlagen. Die jungen Männer waren mit der Politik der SPD nicht einverstanden. Sie empörte besonders, dass die Sozialdemokraten sich nicht gegen die Wiederaufrüstung des Deutschen Reiches wehrten. Aus Protest wurden sie Mitglieder des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands. Der Vater hingegen hielt der Führung der SPD die Treue. Das führte zu heftigen Diskussionen innerhalb der Familie. Es ging so weit, dass der älteste Sohn Alfred zeitweilig zu Hause nicht willkommen war. Eine Tatsache, die besonders Fritz sehr betrübte. Denn der Zusammenhalt der Brüder war groß.

Sechs Wochen lang gefesselt

Der damals 15-jährige Fritz hielt sich ansonsten aus diesen Streitereien heraus. Er war noch nicht politisch aktiv, sondern interessierte sich mehr für sozialistische Literatur. Aber natürlich erlebte er die Naziaufmärsche durch die Arbeiterviertel Ende 1932 und die Straßenschlachten, an denen seine Brüder beteiligt waren. Der Vater wiederum beschützte mit anderen Mitgliedern des Reichsbanners das Gewerkschaftshaus in Lübeck im Januar 1933.
Damit war es schlagartig vom Tage des Machtantritts Hitlers an vorbei. Der Vater kam nach Hause zurück. Der Streit mit dem Sohn Alfred war nicht mehr wichtig. Nun galt es nur noch, zusammenzuhalten gegen die Nazis. Wenig später löste sich der Kommunistische Jugendverband auf, seine Mitglieder wurden im Untergrund aktiv. Auch die Brüder Bringmann.
Als erster wurde im Mai Werner verhaftet, dann im Juli Alfred und im November der 18-jährige Karl. Sie kamen nach Hamburg-Fuhlsbüttel ins Konzentrationslager. Die beiden Älteren wurden noch 1933 wieder entlassen, Karl etwas später. Was sie über ihre Lagerhaft erzählten, war so grauenvoll, dass Fritz ihnen nicht glauben wollte. »Ich habe es ihnen nicht abgenommen, ich glaubte, sie übertreiben. Solche Unmenschlichkeiten konnte ich mir nicht vorstellen.« Die Brüder berichteten von Hunger und Schlägen, von sinnlosen Arbeiten, wenn sie Steine von einer Seite zur anderen schleppen mussten, und sie berichteten von den Kellerräumen und der Folter, die dort stattfand. Karl hatte die Gestapo sechs Wochen lang Hände und Füße auf dem Rücken zusammen geschlossen. Menschen effektiv zu quälen – das konnten die Nazis vom ersten Tag, wie die Brüder leidvoll erfahren mussten.
Auch Fritz war mit dem neuen nationalsozialistischen Alltag konfrontiert, aber noch nicht in aller Härte. Sein Lehrmeister trug plötzlich eine Binde mit dem Hakenkreuz, und in der Berufsschule kehrten die Nationalsozialisten als Lehrer zurück, die vorher entlassen worden waren. Fritz provozierte durch Fragen. Fragen, die er in den Pausen mit seinen Mitschülern besprach und die die nationalsozialistische Propaganda als Unsinn entlarvten. Er glaubte, dass es Spielräume für ihn gab. Noch konnte man sich gegen die Nationalsozialisten wehren.
1934 kam die Gestapo wieder, um Alfred mitzunehmen. Vor seiner ersten Verhaftung hatte er illegal gearbeitet: Flugblätter verteilt und Losungen gemalt. Das hatte man ihm damals nicht nachweisen können, es wurde erst nach seiner Entlassung bekannt. So kam es zur zweiten Verhaftung. Fritz war damals Lehrling bei einem Klempner: »In diesem Sommer bekam mein Meister einen Auftrag in der Werkstatt des Untersuchungsgefängnis in Lübeck. Jeden Tag konnte ich Alfred vom Dach aus bei seiner Freistunde sehen.«
Er erzählte seinen Brüdern von diesem Kontakt. Sie schmiedeten Pläne, Alfred zu befreien. Organisierten einen Rohrschneider, der auch Eisengitter knacken konnte. Als alles vorbereitet war, wurde Alfred in eine Gemeinschaftszelle verlegt. Damit waren ihr Plan gescheitert. Tatsächlich verbrachte Alfred die ganze Zeit der Naziherrschaft in Konzentrationslagern – fast zwölf Jahre.
Für Fritz bedeutete diese Enttäuschung den Einstieg in die illegale Arbeit. »Mir war klar, jetzt will ich was gegen die Nazis tun.« Mit seinem Bruder Karl baute er illegale Dreiergruppen auf. Alle älteren Bringmann-Brüder waren im Widerstand aktiv, auch der Älteste Hans in Berlin und Henry in Chemnitz. Karl und Fritz sprachen Gleichgesinnte an und verteilten illegales Material. Einer der bevorzugten Punkte dazu war für Fritz seine Berufsschule. »Aber ich hab die Sachen dort nur verteilt an den Tagen, an denen ich nicht zum Unterricht ging. Mir war klar, dass man bei drei schon einmal verhafteten Brüdern schnell auf den Namen Bringmann aufmerksam werden konnte.« Das Risiko verhaftet zu werden, »das habe ich einkalkuliert, aber nicht die Grausamkeiten, die ich dann erlebt habe«.

Anders Karl. Er hatte in Fuhlsbüttel sechs Wochen lang krummgeschlossen verbracht, so nannte man das. Er hatte Angst, aber dennoch machte er weiter. Die Eltern wussten von den Aktivitäten ihrer Kinder nichts. Die Mutter war damals schon über 50. »Sie hat am meisten von uns gelitten, auf andere Weise als wir in den Konzentrationslagern. Aber es war schrecklich für sie, wie ein Sohn nach dem anderen von der Gestapo abgeholt wurde und ins KZ kam. Darüber ist sie nie hinweg gekommen. Auch nach dem Krieg nicht.«

»Am meisten litt die Mutter«

Im April 1935 geschah es dann: Karl und Fritz wurden beim Malen einer Parole erwischt. »Nieder mit Hitler« wollten sie schreiben. Das Wort Hitler schafften sie nicht mehr. Am nächsten Tag wurden die beiden verhaftet. Fritz versuchte seinen Bruder Karl zu entlasten. Ihm war klar, dass der eine weitere Haft mit ihren Quälereien nicht verkraften würde. Er erzählte in den Verhören, dass er mit seinem Bruder Werner mitgegangen sei und bei der Malaktion nur dabei gestanden habe. Die anderen Beteiligten habe er nicht gekannt. Die habe Werner mitgebracht. Werner war zu diesem Zeitpunkt schon untergetaucht.
Trotz aller Schläge blieb Fritz bei seiner Version. Die Gestapo versuchte Karl hereinzulegen, indem sie ihm ein gefälschtes Vernehmungsprotokoll vorlegten. Aus Werner hatten sie in Fritz‘ Aussage Karl gemacht. Aber Karl glaubte nicht, dass sein Bruder ihn verraten habe, so tief war das Vertrauen der Brüder untereinander. Doch es nützte nichts: die Gestapo brachte Karl wieder nach Fuhlsbüttel. Fritz dagegen wurde zu einer Jugendstrafe von zweieinhalb Monaten verurteilt. Da sie nur »Nieder mit« gemalt hatten, wertete das Gericht sein Vergehen lediglich als Sachbeschädigung. Dieses Urteil wäre mit der Untersuchungshaft verbüßt gewesen, doch die Gestapo nahm Fritz für weitere sechs Wochen in Schutzhaft.
Im Oktober 1935 waren beide Brüder wieder frei. Doch dann kam es zu einer neuen Verhaftungsaktion. In einer Nacht wurden über 200 Menschen abgeholt, darunter Freunde von Fritz. Er wusste, dass die Gestapo bald auch vor der Tür der Familie Bringmann stehen würde. An diesem Abend sprachen Fritz und Karl zum ersten Mal mit ihrem Vater über ihre Aktionen gegen die Nazis. Sie wollten verhindern, dass Karl noch einmal in Haft geriete – nach allem, was er schon ausgestanden hatte. Stattdessen wollten sie versuchen, ihn ins Ausland zu schmuggeln. Das gelang auch. Karl schaffte es nach Dänemark. 1937 ging er nach Spanien, zu den Interbrigaden im Krieg gegen Franco, danach schloss er sich der Résistance in Frankreich an.
Fritz und sein Vater zahlten einen hohen Preis für ihren Beschluss, Karl zu schützen: sein Vater mit drei Monaten Sippenhaft, weil die Gestapo Karl nicht finden konnte. Fritz wurde im Untersuchungsgefängnis immer wieder gefoltert. »Sie haben mich auf Essensentzug gesetzt und dann die Verhöre grundsätzlich am reich gedeckten Tisch geführt. In meiner Arrestzelle war kein Tisch und kein Stuhl, nichts. Aber da war ein alter Wachtmeister, der gab mir manchmal heimlich etwas zu essen.«

Die Gestapo folterte nicht nur mit Essenentzug. Sie schlugen Fritz Bringmann grausam. An einem Tag verlor er viermal das Bewusstsein. Sie wollten Namen, aber sie bekamen sie nicht. Fritz Bringmanns Kontaktleute wurden nie gefunden. »Was ich zugeben konnte, habe ich zugegeben: Treffen – ich habe zwei Treffen zur gleichen Zeit zugegeben. Alles für Karl.«

Verfolgt auch nach dem Krieg

Im September 1936, fast ein Jahr nach der zweiten Verhaftung, wurde Fritz Bringmann zu zwei Jahren Gefängnis wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« verurteilt. Die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, aber die Gestapo nahm in sofort in Schutzhaft. Seine lange Reise durch die Konzentrationslager begann. Den größten Teil der Zeit war er in Neuengamme inhaftiert.
Alle Bringmann-Brüder überlebten, obwohl keiner von ihnen den Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufgegeben hatte. Fritz Bringmann hat auch nach dem Krieg in der Bundesrepublik als Kommunist viele Nachteile erlitten. Die Verfolgung ging so weit, dass zwei seiner Kinder als Erwachsene in die DDR übersiedelten.
Er selbst hat dafür gekämpft, dass in Neuengamme eine würdige Gedenkstätte errichtet wurde und dass das Gefängnis, das lange auf dem Gelände des ehemaligen Lagers stand, abgerissen wurde. Zuletzt hat er vor sechs Jahren verhindert, dass die Bürgerschaft diesen Abrissbeschluss revidierte. Der damals frisch gewählte Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und sein rechtspopulistischer Innensenator Ronald Schill hätten das Gefängnis gern weiter benutzt. Es ist dem persönlichen Einsatz von Fritz Bringmann zu verdanken, dass das nicht passierte.
Woher nimmt er die Kraft, bis heute zu kämpfen und junge Leute an seinem Leben teilnehmen zu lassen? Vielleicht aus einer Erfahrung, die er unter der Gestapo-Folter machte: »Ich habe gelernt, dass es eine Grenze gibt, wo die SS nicht weiterkam, wo sich dich nicht mehr brechen konnte. Dass diese Grenze möglich war, verdanke ich der Solidarität unter den Gefangenen.«

ND-ePaper – die digitale Ausgabe von Neues Deutschland
ePaper – 26. Januar 2008