Altonaer Blutsonntag
7.000 Nazis, viele davon uniformierte SA-Männer, aus Schleswig-Holstein und Hamburg demonstrierten am 17. Juli 1932 durch das rote Altona. Vergeblich hatten Aktivisten der Antifaschisten Aktion im Vorfeld versucht, Altonas Polizeipräsidenten, den SPD-Reichstagsabgeordneten Eggerstedt zum Verbot des Aufmarschs zu bewegen. Eggerstedt rief die Bewohner Altonas auf, die Stadt zu verlassen und ging mit „gutem Beispiel“ voran. Er selbst wurde noch im Jahr 1933 zu einem der frühen Opfer des Nazi-Terrors, erschlagen im Lager Esterwegen.
Bereits am Wochenende zuvor hatten NSDAP-Anhänger zwei Kommunisten und zwei Sozialdemokraten umgebracht. Es kam wie befürchtet: Schüsse fallen, zwei SA-Männer werden tödlich getroffen. Die Polizei beginnt auf angebliche Heckenschützen zu schießen, tatsächlich auf die Menschen in den umliegenden Häusern. Am Ende des Tages sind 16 unbeteiligte Anwohner tot.
Bis heute ist letzten Endes ungeklärt, wer die ersten Schüsse abgegeben hat.
Politisch genutzt hat das Massaker auf jeden Fall den Faschisten: Mit dem „Preußenschlag“ wurde nur 3 Tage später die letzte sozialdemokratisch geführte Regierung im Reich durch Reichskanzler von Papen abgesetzt, das Ende der Weimarer Republik war eingeläutet. Am 14. Juli hatte Hindenburg eine entsprechende Notverordnung unterzeichnet, der Blutsonntag lieferte den Vorwand. Am 31. Juli 1932 erzielte die NSDAP bei den Reichstagswahlen das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte.
Für die politisch Verantwortlichen in Schleswig hingegen stand schon am selben Abend fest: Kommunisten waren es. Aus Fenstern und von Dächern hätten sie geschossen, die Polizei habe sich mit ihrer wilden Schießerei nur verteidigt. Augenzeugen hatten weder an Fenstern noch auf Dächern Schützen gesehen. In den Wohnungen der Toten fanden sich keine Waffen.
Schon unmittelbar nach den Ereignissen macht sich die Justiz – 1932, die Justiz der Weimarer Republik – die Version des schleswig-holsteinischen Regierungspräsidenten Abegg zu Eigen, der von einem „kommunistischen Feuerüberfall“ sprach. Bereits in diesen ersten Untersuchungen wird das „kommunistische Komplott“ um eine August Lütgens untergeschobene Bleistiftskizze konstruiert, werden Lügen und Falschinformationen als Aussagen zur Akte genommen. Lütgens, Möller, Tesch und Wolff werden schon im Herbst 1932 vorübergehend in Untersuchungshaft genommen, allerdings wird das Verfahren später eingestellt.
Gleich nach der Übertragung der Macht an die Faschisten wird der Faden wieder aufgenommen und am 2. Juni 1933 werden August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und Bruno Tesch vom Sondergericht Altona zum Tode verurteilt, 6 weitere Angeklagte werden zu langen Haftstrafen verurteilt, drei Freigesprochene direkt in ein Konzentrationslager verschleppt. Es folgen 6 weitere Prozesse mit weit mehr als 100 Angeklagten, von denen viele zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden.
Keinem der Verurteilten war eine Täterschaft nachzuweisen. Alle wurden als Beteiligte an dem „kommunistischen Komplott“ verurteilt, das auf Grundlage gefälschter Beweise und gekaufter Zeugenaussagen konstruiert worden war. Die ersten Beweisfälschungen geschahen noch in Verantwortung der Staatsanwaltschaft der Weimarer Republik. Die Ergebnisse der „Voruntersuchung“ vom Herbst 1932 waren die Grundlage der Todesurteile gegen die Hauptangeklagten.
Am 1. August 1933 wurden August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und Bruno Tesch auf dem „Weiberhof“ des Gefängnisses Altona mit dem Handbeil ermordet. Es war die erste Hinrichtung von politischen Gegnern des Naziregimes. Allein in Hamburg sollten mehr als 200 folgen.
Leider galt für die Justiz in der Zeit nach 1945 in weiten Teilen der Leitsatz, den der vormalige Blutrichter und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Filbinger, als Rechtfertigung seines verbrecherischen Tuns dem Publikum kund tat: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. In 14 Fällen lehnen Hamburger Gerichte die Wiederaufnahme der Verfahren zum Altonaer Blutsonntag ab.
Immer wieder nahmen Hinterbliebene und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes den juristischen Kampf auf. Wie in Sachen Fiete Schulze, an den heute endlich und wenigstens ein Stolperstein in Billstedt erinnert, und in vielen anderen Fällen.
Erst die akribischen und Zeit raubenden Studien des pensionierten Lehrers und juristischen Laien Léon Schirmann führten schließlich zum Erfolg: Am 13. November 1992 wurde das Urteil gegen Lütgens, Möller, Wolff, Tesch und ihre Mitangeklagten aufgehoben. Am 21. Juni 1996 und am 29. Juni 1998 wurden die Urteile des zweiten und dritten Prozesses aufgehoben.
Die Urteile der drei späteren Prozesse sind bis heute nicht aufgehoben, Urteile der Sondergerichte fallen nicht unter das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile. Diese Opfer der Nazi-Justiz sind bis heute nicht rehabilitiert.
Cornelia Kerth