Die verkannte Niederlage. Das Dilemma des deutschen Kommunismus 1933
Klaus Kinner
Rundbrief 3;4 2012 AG Rechtextremismus/Antifaschismus der Partei DIE LINKE
Die verkannte Niederlage. Das Dilemma des deutschen Kommunismus 1933
Die Arbeiterbewegung hatte mit dem Machtantritt der NSDAP am 30 Januar 1933 die schwerste Niederlage seit ihrer Entstehung hinnehmen müssen In einem widerspruchsvollen und schmerzlichen Lernprozess musste sie sich die Einsicht in diese Niederlage erarbeiten. Aus dem historischen Abstand von fast achtzig Jahren und mit dem Wissen um das Ende der traditionellen Arbeiterbewegung und um das Scheitern des etatistischen Sozialismusversuchs in Europa ist die Analyse dieses Lernprozesses der Arbeiter- und insbesondere der kommunistischen Bewegung nicht nur von historischem Interesse.
Die Arbeiterbewegung in ihren unterschiedlichen Richtungen hatte die Bedeutung der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler nicht sofort in ihrer ganzen Tragweite erkannt. Wohl hatten Sozialdemokraten wie Kommunisten seit Jahren gegen die faschistische Gefahr angekämpft, hatten auch vor den Gefahren einer faschistischen Machtübernahme gewarnt, die Dynamik und Brutalität der Nazis an der Macht überraschte sie dennoch. Angesichts der Neuartigkeit des sich etablierenden Herrschaftstyps, der auch durch die Erfahrungen der bereits existierenden faschistischen Regimes nicht vorhersehbar war, kann das nicht überraschen.
Gravierender war jedoch, dass beide Flügel der deutschen Arbeiterbewegung an ihren überholten Konzepten festhielten. Die Sozialdemokratie an ihrem Glauben an die Legalität um jeden Preis und die Kommunisten an ihrem weltrevolutionären Konzept Angesichts der verhärteten Fronten zwischen Einheitsfrontdemonstration auf dem Messplatz in Leipzig, Januar 1933 den Arbeiterparteien waren Einheitsfrontangebote und Generalstreikaufforderungen der KPD-Führung nur ein lautes Pfeifen im dunklen Walde. Die positive Antwort wurde nicht wirklich erwartet, zumal solche Aufrufe einhergingen mit einer Doppelstrategie: die »Einheitsfront mit den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Mitgliedern« zu verstärken und gleichzeitig »über den schändlichen Verrat (der sozialdemokratischen Führung) Klarheit zu schaffen«.1
Die beiden großen Parteien der deutschen Arbeiterbewegung hatten sich in einen Zustand der Selbstblockade und Lähmung manövriert, in dem der Hitlerfaschismus ohne nennenswerten Widerstand an die Macht gelangen konnte.
Die Möglichkeiten der KPD zur »Mobilisierung der Massen« waren zudem objektiv begrenzt. Verfügte sie doch kaum noch über Einfluss in den Betrieben. Nur etwa 11 Prozent ihrer Mitglieder waren beschäftigte Industriearbeiter. Die Aufforderung der KPD vom 30. Januar zum Generalstreik und zur Stilllegung der Betriebe musste sich so zwangsläufig in erster Linie an die nichtkommunistischen Arbeiter richten. Es kam wohl zu gemeinsamen Demonstrationen sozialdemokratischer und kommunistischer Hitlergegner. Sie blieben aber eher insgesamt marginal. Die KPD hatte noch in den letzten Wochen vor dem 30. Januar 1933 auf ihrem falschen Kurs beharrt und so nicht das ihr Mögliche getan, um Hitler den Weg an die Macht zu versperren. Anstatt alle Kräfte auf die Abwehr der faschistischen Gefahr zu konzentrieren, betrieb die KPD-Führung in den letzten Wochen der Weimarer Republik eine Kampagne zur Auswertung des XII. Plenums der Exekutive der Kommunistischen Internationale. Sie propagierte dessen katastrophalen Kurs des strategischen Hauptstoßes gegen die Sozialdemokratie, der Einheitsfront nur von unten. Sie wähnte sich in einer Phase des revolutionären Aufschwungs gegen die faschistische Diktatur, von der sie meinte, sie sei schon seit dem Anfang der dreißiger Jahre errichtet.
Ernst Thälmann bewertete in einem Brief an Fritz Heckert, dem Vertreter der KPD beim EKKI, am 27. Januar 1933 nach Moskau den Stand der Durchführung der Beschlüsse des XII. Plenums und verwies dabei auf bestimmte Schwächen bei der Bewertung des Charakters »der faschistischen Diktatur in Deutschland« und der »Rolle der Sozialdemokratie, ihrer ›linken‹ Betrugsmanöver, ihrer »besonderen Methode in der jetzigen Situation«. Weiter analysierte er die Verschärfung der Krisenerscheinungen und den »steigenden revolutionären Aufschwung«.2 Wie hier und in vielen anderen Dokumenten dieser Zeit deutlich wird, erwuchs die Verkennung des qualitativen Umbruchs der bürgerlichen Herrschaftsform mit dem Machtantritt Hitlers nicht in erster Linie aus der mangelnden zeitlichen Distanz zu den sich vollziehenden Prozessen und der Schwierigkeit, sie analytisch zu erfassen, sondern aus der grundsätzlich falschen Bewertung dieser Vorgänge auf der Grundlage der Kapitalismusanalyse und des weltrevolutionären Konzepts von KPD und Kommunistischer Internationale. Ein Bericht Fritz Heckerts vor dem Präsidium des EKKI am 31. Januar 1933 verdeutlicht diesen Befund in frappanter Weise. Seine Schilderung des Machtantritts der Hitler-Regierung unterschied sich nur graduell von früheren Berichten über Regierungsumbildungen. Wohl wurden die Gefahren gesehen, die von den aktuellen Entwicklungen in Deutschland gerade für die Arbeiterbewegung ausgingen, aber unter Bezug auf den Aufruf der KPD zum Generalstreik von 30. Januar heißt es bei Heckert. »dass das offene faschistische Terrorregime an die Stelle des Regimes des verdeckten Faschismus mit sozialer Demagogie … getreten ist …«3 Ein faschistisches Regime wurde also durch ein anderes abgelöst. Die damit verbundene enorme Zuspitzung der Situation wurde jedoch gleichsam positiv gewendet: Durch sie sei »die mächtige Belebung der Arbeitermassen geschaffen worden«, die »Deutschland unmittelbar in eine revolutionäre Situation« bringe. Dem Hitler- Regime wurde keine lange Existenz zugetraut, so dass die Revolution erneut zur unmittelbaren Aufgabe avancierte. Die Tatsache, dass es der KPD nicht gelang, nennenswerten Widerstand gegen die Hitlerregierung zu mobilisieren, focht deren Führung und die der Kommunistischen Internationale zunächst nicht an.
Zu den Legenden der SED-Geschichtsschreibung gehörte die von der strategischen Neuorientierung der KPD auf dem Wege zum VII. Weltkongress der KI und zur »Brüsseler« Parteikonferenz der KPD 1935 bereits auf der Tagung des Zentralkomitees der KPD in Ziegenhals am 7. Februar 1933 durch Ernst Thälmann. Da sich diese Legende in bestimmten Kreisen als wirklichkeitsresistent bis in die Gegenwart erweist, sei darauf eingegangen.
Am 3. Februar 1933 beschloss das Polbüro der KPD die Durchführung einer »Konferenz der Polsekretäre, ZK.-Instrukteure und Abt-Leiter«.4 Behandelt wurde das Referat Ernst Thälmanns »Politische Lage und Aufgaben«. In der Thälmann- Hagiographie der SED avancierte diese Konferenz zu einer Tagung des Zentralkomitees. Als erster und für längere Zeit einziger Beratung der Parteiführung nach dem Regierungsantritt Adolf Hitlers und letzter Beratung der Partei im Lande, erlangte sie zu Recht eine nicht geringe Bedeutung in der Parteigeschichte. Immerhin legte Thälmann hier letztmalig vor einem größeren Kreis führender Funktionäre der Partei in einem (nicht vollständig überlieferten) Referat die Sicht und Bewertung der gravierenden Veränderungen seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten vor, die er und die KPD Führung in den seitdem vergangenen acht Tagen gewonnen hatten. Es kann davon ausgegangen werden, dass Werner Hirsch, der persönliche Mitarbeiter Ernst Thälmanns, an der Ausarbeitung dieses Referates wesentlich beteiligt war. Diese Beratung erbrachte jedoch mitnichten eine Neuorientierung der Partei im Kampf gegen den Faschismus. Nicht die Schaffung einer breitestmöglichen antifaschistischen Front unter Hintanstellung anderer Ziele als der Überwindung der Hitlerdiktatur war das erklärte Ziel, sondern die »Entfaltung aller Formen des Massenwiderstandes und des Massenkampfes gegen die faschistische Diktatur«5 unter den Bedingungen des »Heranreifens der revolutionären Krise«.6
Nicht selbstkritische Analyse der verfehlten Generallinie der KPD im Kampf gegen den »Hauptfeind« Sozialdemokratie, sondern Kritik daran, dass man das Haupthindernis auf dem Weg zur proletarischen Revolution, »den Einfluss der SPDund ADGB-Führer … nicht in dem erforderlichen Maße zu liquidieren «7 vermochte. Aus diesem Grund sei die bisherige Taktik der Einheitsfront fehlgeschlagen. Thälmann orientierte auf den »revolutionären Sturz«8 der Hitlerregierung als »unmittelbare(r) Aufgabe.9
Auch wenn er erkannte, dass der Sturz der Hitlerregierung nicht »unter allen Umständen zu 100 Prozent … mit einem Sieg der proletarischen Revolution direkt verbunden«10 sei, bedurfte es schon einiger Rabulistik, diese Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses zur vorweggenommenen Wende in der Politik der KPD zu stilisieren. Die KPD-Führung dachte immerhin über Aktionslosungen nach, die in einem Kampfprogramm gebündelt werden sollten. War die Ablehnung eines gesonderten Aktionsprogrammes mit Übergangsforderungen in der Periode der relativen Stabilisierung – so Thälmann – in Auseinandersetzung mit den Rechten und Versöhnlern richtig, da sie lediglich »der Nährboden für opportunistische Illusionen « gewesen wären, so verändere sich »in dem Maße, wie wir mit dem steigenden revolutionären Aufschwung stärker an die revolutionäre Krise herankommen … die Lage für uns bezüglich der Aufstellung von Übergangslosungen.«11 Die »Fristen des revolutionären Aufschwungs und für die volle Entfaltung der revolutionären Krise« seien »heute viel kürzer als in den bisherigen Abschnitten des proletarischen Klassenkampfes«12, meinte Thälmann im gleichen Atemzuge. Damit bekräftigte er erneut die dogmatische und sektiererische Linie des XII. Plenums der Exekutive der Kommunistischen Internationale vom Herbst 1932. Und es war zweifellos in seinem Sinne, dass das Präsidium der Exekutive der KI am 1. April 1933 erklärte, die Arbeiterklasse habe sich lediglich zurückgezogen und der revolutionäre Aufschwung in Deutschland werde unvermeidlich ansteigen. Der faschistischen Diktatur wurde der Effekt abgewonnen, dass sie »alle demokratischen Illusionen in den Massen zunichtemacht und (sie) aus dem Einfluss der Sozialdemokratie befreit. Die Kommunisten hatten recht, als sie die Sozialdemokratie als Sozialfaschisten bezeichneten.«
Das Präsidium der Exekutive der KI stellte sich uneingeschränkt hinter die Politik der KPD-Führung. Aufgrund des Verrats der Sozialdemokratie »erwies sich das Proletariat in einer Lage, in der es nicht imstande war und tatsächlich auch nicht vermochte, die sofortige und entschlossene Abwehr gegen den Staatsapparat zu organisieren.« Der »Sieg Hitlers und die Aufrichtung der Macht der ›Nationalsozialisten‹« wurde zwar konzediert, die Arbeiterklasse hätte sich aber nur zurückgezogen.13 Selbst diese unzureichende Kennzeichnung der tatsächlichen Situation stieß in der Beratung des Präsidiums auf heftigen Widerstand.14 Die Resolution gelangte über die verschiedensten Wege nach Deutschland. So kursierte sie als hektographiertes Material in der Thüringer Parteiorganisation als Schulungsmaterial.15 Die Einsicht in die Niederlage lag noch in weiter Ferne. Gestützt auf ausführliche Zitate aus der Rede Thälmanns in Ziegenhals, die übrigens nicht alle in der überlieferten Redefassung zu finden sind, zeigte sich noch im Sommer 1933 in einer für Schulungszwecke zusammengestellten Rededisposition das ganze Ausmaß sektiererischer Verkrustung. Es finden sich hier Thesen wie: »Der Sieg des Faschismus die Schuld der SPD« oder »Die SPD bleibt die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie« und schließlich die Auffassung, der starke Einfluss unter der Arbeiterklasse ermögliche der SPD »mit der ›Märtyrer‹-Krone des Verbots ihre Rolle ihre Rolle als soziale Hauptstütze weiterzuspielen.«16 Und in einem Brief des ZK der KPD aus derselben Zeit wird die absurde These aufgestellt, dass auch das Verbot der SPD nichts an ihrer Rolle als Hauptstütze der Bourgeoisie ändere. Die Sozialdemokratie unterstütze jetzt mit illegalen Methoden den Hitlerfaschismus. Die Beschwörung des »revolutionären Aufschwungs « erschwerte die Umstellung der Parteiorganisationen auf die neuen Bedingungen und kostete die KPD eine große Zahl vermeidbarer Opfer.
Diese Orientierung verstellte den Blick auf die Notwendigkeit einer radikalen Wende in der Politik der von KPD und Kommunistischer Internationale. In einem »Arbeitsprogramm der KPD für die nächsten Monate«, unterschrieben mit »ZK der KPD«, in einer Zeit, in der die Organisationsstrukturen der Partei fast völlig zerschlagen wurden, orientierte die Parteiführung auf antifaschistischen Massenangriff in den Betrieben, auf die Weiterführung und Gewinnung der am 10. Mai 1933 zerschlagenen Gewerkschaften und auf die Weiterführung der kommunistischen Massenorganisationen als illegale Organisationen.17
In einem weiteren als Brief des ZK firmierten Brief vom 6. Juli 1933 an alle Leitungen der Betriebszellen, Fünfergruppen und Gewerkschaftsfraktionen proklamierte die Parteiführung die »Sozialistische Freiheitsaktion«. Sie schätzte ein, »dass der Höhepunkt der mit dem 30. Januar entfachten faschistischen Welle überschritten ist, dass in der Arbeiterklasse die Sammlung der Kräfte zum Widerstand gegen die faschistische Diktatur und zum Kampf für ihren Sturz sichtbare Fortschritte macht … Der Hauptstoß unserer Politik geht auf die Gewinnung der Massen der sozialdemokratischen Arbeiter …« Es gelte, »die Arbeiter von den zum Faschismus übergelaufenen Führern (der Sozialdemokratie) loszulösen und die Sozialdemokratie zu zerstören … Wir proklamieren den Sturz von Hitler, … wir wollen … den Sieg der proletarischen Diktatur.«18 Der Tiefpunkt der fehlorientierten Politik von KPD und Kommunistischer Internationale war aber noch nicht erreicht. Die »Generallinie« blieb das gesamte Jahr 1933 vorherrschend. Auf der XIII. Tagung des EKKI im November/Dezember feierte sie ein letztes Mal Triumphe. Sie blieb jedoch auch innerhalb des deutschen Kommunismus nicht unangefochten. Die Praxis des antifaschistischen Kampfes drängte immer zwingender auf Veränderungen. Besonders in Deutschland selbst stießen die Widerstandsgruppen, die zunehmend nicht mehr 28 nach der formalen Parteizugehörigkeit zusammengesetzt waren, immer schmerzlicher auf die Grenzen der Beschlüsse und ignorierten oder sprengten sie. So beklagte der Kominternfunktionär G. B. Smoljanski noch 1934 in der Beratung des Mitteleuropäischen Ländersekretariats am 19. März eine Unterschätzung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie und schilderte als Beispiel einen Fall aus Berlin-Moabit, »wo die Genossen aus der Bezirksleitung der RGO aus den Resolutionen des XIII. Plenums und der Parteizentrale diejenigen Stellen herausgeschnitten haben, wo stand, dass die Sozialdemokratie … die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie (war und bleibt), und sie haben die Resolutionen ohne diese Stellen verbreitet.«19 Sieht man von den marginalen Gruppierungen der Reste der Neumann-Remmele-Fraktion und der Trotzkisten in der KPD ab, so verdienen die Positionen der so genannten Versöhnler und der KPD (Opposition) Beachtung. Beide Gruppierungen vertraten orthodox kommunistische Standpunkte, die sich dennoch erheblich von denen der KPDFührung unterschieden. Ein Positionspapier der »Versöhnler« aus dem Sommer 1933, das im Berliner Raum in größerer Zahl kursierte, unterschied sich schon im Ansatz vom Herangehen der KPD-Führung. Während diese in einem Dokument Ende 1933 »mit Genugtuung auf die Feststellung des EKKI hin(weist), dass die Politik der KPD unter der Führung des Genossen Ernst Thälmann bis zum 30. Januar richtig war und dass das EKKI alle Maßnahmen der Partei seit dem 30. Januar als Fortsetzung der Generallinie«20 billige, so verweist das angesichts der Schwere der Niederlage auf eine gravierenden Realitätsverlust. Anders das »Versöhnler«-Papier.21 Hier wird von dem Eingeständnis der Niederlage ausgegangen und als größter Fehler benannt, dass die KPD, »nicht den Mut und die Kraft gehabt … (hat, sich) selbst und der Arbeiterklasse die Wahrheit einzugestehen.« In der Abwehr von Haltungen, die eine »Fehlerdiskussion« als schädlich und rückwärtsgewandt denunzierte, wurde betont, dass »alles, aber auch alles davon abhängt, ob die revolutionäre Partei sich selbst richtig einschätzt. « In einer differenzierten Analyse gehen die Autoren der heute noch unter Linken umstrittenen Frage nach: »Hätte man kämpfen sollen?« Sie erteilen den Antworten der KPDFührung – es war richtig, dem Kampf auszuweichen, da die Voraussetzungen für den bewaffneten Aufstand, also für die Eroberung der Macht, nicht gegeben waren – ebenso eine Absage wie der Neumann/Remmele-Gruppe – man hätte kämpfen müssen, koste es, was es wolle. Die Partei hätte – so die Antwort der Verfasser – kämpfen müssen »in der Zeit zwischen Mitte und Ende Januar 1933, wo jeder Tag die Schicksalsschwere der vergangenen Jahre in sich barg.« Gegen die Argumentation der KPD-Führung, der Kampf wäre wegen der Verweigerung der SPD nicht möglich gewesen, wurde geltend gemacht, dass die KPD in den entscheidenden Wochen den kampfbereiten SPD-Mitgliedern und Sympathisanten keine Angebote machte, in ihren Organisationen gemeinsam mit den Kommunisten den Faschismus zu bekämpfen. Ob und inwieweit auch in diesen Einschätzungen Illusionen über das reale Kräfteverhältnis mitschwangen, sei hier dahingestellt. In ihren Haltungen zu den »großen« Fragen der Weltpolitik, insbesondere zur Sowjetunion, blieben die Vertreter dieser Richtung traditionell orthodox kommunistisch. Eine grundsätzliche Stalinismuskritik blieb außerhalb ihres Horizontes oder wurde in Konfrontation mit dem Trotzkismus ausgeblendet. Die Solidarität mit Sowjetrussland, die Verteidigung des Landes der siegreichen proletarischen Revolution, blieb unangetastetes Refugium kommunistischer Religion.
Die weitest gehenden Schlussfolgerungen aus dem Machtantritt des Hitlerregimes zogen die Analytiker der KPD (Opposition). Gestützt auf die faschismustheoretischen Erkenntnisse, die vor allem August Thalheimer seit dem Anfang der zwanziger Jahre erarbeitet hatte und die zum Besten gehören, was auf diesem Gebiet internationale in der marxistischen Theorie geleistet wurde, erkannten sie sofort die neue Qualität der Herrschaftsform des Hitlerfaschismus. Sie erfassten die Schwere der Niederlage der Arbeiterbewegung22 und warnten vor Illusionen, das faschistische Regime werde infolge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder der Konflikte innerhalb der herrschenden Eliten zerbrechen. Ohne den geschlossenen Gegenangriff der Arbeiterklasse – so mahnte die KPD (O) – »werden diese Gegensätze auf ihre Kosten überwunden «.23 Scharf und bitter bilanzierte sie die Politik von KPD und Kommunistischer Internationale: »Geschlagen ist nicht der Kommunismus, aber geschlagen ist die ultralinke Taktik, geschlagen ist das bürokratische Regiment, geschlagen ist die bisherige Methode der ›Führung‹ der KPD und in der Kommunistischen Internationale.« Und weiter heißt es sarkastisch: »Sie (die KPD – K.K.) hetzte das blöde und falsche Schlagwort vom ›Sozialfaschismus‹ zu Tode, dem die Vorstellung zu Grund lag, als ob die Sozialdemokratie die Partei der faschistischen Diktatur sei. Sie schnitt sich so den Weg zur Sammlung der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter gegen den wirklichen Faschismus ab. Sie erklärte nacheinander die Regierungen Severing-Braun, Brüning, Papen, Schleicher für faschistische Regierungen.«24
Die scharfsinnige Analyse des Faschismus und der Politik von KPD und Kommunistischer Internationale folgte jedoch kein ebenso stringentes Konzept für die Überwindung des Faschismus. Auch in der KPD (Opposition) konnte man als Alternative zum Faschismus nur die proletarische Diktatur, die Rätemacht vorstellen. »Das Ziel des Kampfes zum Sturz der faschistischen Diktatur kann nicht die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie sein.«25 Es lag in der Logik dieses Ansatzes, dass man meinte, »Teillosungen können daher nicht bürgerlich-demokratischer Art sein.«26 Während KPD und Kommunistische Internationale sich in den folgenden Jahren sich in einem schwierigen und widerspruchsvollen Prozess einen strategischen Ansatz erarbeiteten, der in der antifaschistischen Volksfrontpolitik gerade das Ringen um die Wiedergewinnung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten in den Mittelpunkt ihrer Politik rückte, beharrte die KPD (Opposition) auf ihren Positionen.
Das Dilemma des deutschen Kommunismus bestand 1933 darin, dass die kommunistische Großorganisation, die KPD, nicht zur Einsicht in ihre und der Niederlage der Arbeiterbewegung gelangte und damit nicht in der Lage war, einen strategischen Neuansatz im Kampf gegen den Faschismus zu gewinnen Die Kräfte in der KPD, die weiterreichende Ansichten gewannen, blieben letztlich ohne Einfluss. Die KPD (Opposition) vermochte ebenfalls das Ghetto der Splitterpartei nicht zu verlassen. Es bedurfte noch vieler Erfahrungen und Opfer im antifaschistischen Widerstand und der Fähigkeit der internationalen Arbeiterbewegung wie der antifaschistisch gesonnenen Volksmassen aus der Niederlage der deutschen Antifaschisten zu lernen, es bedurfte antifaschistischer Abwehrkämpfe in Österreich 1934, der Volksfrontpolitik in Frankreich und Spanien, bis es im Sommer 1935 mit dem VII Weltkongress der Kommunistischen Internationale und für die KPD mit ihrer »Brüsseler « Parteikonferenz gelang, die Verkrustungen der linksfundamentalistischen Politik wenigstens zum Teil aufzubrechen. Ganz abzustreifen vermochten sie diese Krusten nicht. Dazu hätte es eines Bruchs mit dem Stalinismus bedurft Diesen Bruch vermochte die kommunistische Weltbewegung bis in die jüngste Vergangenheit nicht bis zur letzten Konsequenz zu vollziehen Darin liegen auch Gründe ihres Scheiterns.
Das Ringen der deutschen Kommunisten um die Verarbeitung ihrer schweren Niederlage im Januar 1933, das furchtbar schmerzhafte Suchen nach den eigenen Fehlern, das zögerliche und inkonsequente Reden von der eigenen Schande und nicht von der der anderen, das Mühen, sich den so bequemen Verratsvorwürfen zu verweigern, alles das hat paradigmatische Bedeutung, auch in seinem Scheitern.
1 Arne Andersen: Die KPD und die nationalsozialistische Machtübernahme Ein Rundschreiben der KPD vom 2 Februar 1933, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 22 Jg , 1986, H 3, S 361
2 Ernst Thälmann an Fritz Heckert, Berlin, 27 Januar 1933, in: Stiftung der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (SAPMO), RY 5/I/6/3/69, Bl 1
3 Informationsbericht des Genossen Heckert über die Ereignisse in Deutschland auf der Sitzung des Präsidiums (der Exekutive der Kommunistischen Internationale) vom 31 Jan(uar) 1933, in: SAPMO, RY 5/I/6/3/69, Bl 13
4 Politbüro-Protokoll vom 2 Februar 1933, in: SAPMO, RY 1/12/3/13, Bl 4
5 Die illegale Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7 Februar 1933 in Ziegenhals bei Berlin, Berlin 1981, S 31
6 Ebenda, S 24
7 Ebenda, S 29
8 Ebenda, S 25
9 Ebenda, S 27
10 Ebenda, S 28
11 Ebenda, S 39
12 Ebenda, S 28
13 Resolution des Präsidiums des EKKI zum Referat des genossen Heckert über die Lage inj Deutschland (angenommen am 1 April 1933), in: SAPMO, RY 5/16/10/26, Bl 104
14 Siehe Protokoll des EKKI am 1 April 1933, in: ebenda, Bl 73
15 Siehe Resolution …, in: SAPMO, St 3/805
16 Rededisposition über die Lage und die Aufgabe der KPD, 4 Juli 1933, in: SAPMO, St 3/805, Bl 7
17 Siehe Aus dem Arbeitsprogramm der KPD für die nächsten Monate, ZK der KPD, Juni 1933, in: SAPMO, RY 1/12/3/14, Bll 117
18 Brief des ZK der KPD, 6 Juli 1933, in: SAPMO, St 3/805, Bl 13
19 Protokoll der Sitzung des (Mitteleuropäischen) Ländersekretariats des EKKI am 19 März 1934, in: SAPMO, RY 5/16/3/411, Bl 15
20 Entschließung des ZK der KPD zur Lage und zu den nächsten Aufgaben, Mai 1933, in: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Jg 2, 1933, Nr 17, S 541
21 Siehe (Rundschreiben der »Versöhnler«-Fraktion,Sommer 1933) Was soll man tun?, in: SAPMO, RY 1/12/3/72, Bl 1–11 (20 Ms S )
22 Siehe Faschistische Diktatur über Deutschland, in: Gegen den Strom Organ der KPD (Opposition), Berlin, 6 Jg , 1933, Nr 3, 11 Februar, S 25 f
23 Die politische Lage, in: ebenda, Nr 4, 25 Februar 1933, S 34
24 Die Niederlage und Wiedererhebung der deutschen Arbeiterklasse im Kampf gegen die faschistische Diktatur (Thesen), in: ebenda, Nr 5, Mai 1933, S 6
25 Ebenda, S 7
26 Ebenda