Geschichtskonferenz 28./29. Juni 2013
Lizenz zum Terror. Das Jahr 1933 – Vorgeschichte, Geschichte und Geschichtsbild.
Geschichtspolitische Konferenz der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) mit Alexander Bahar, Cornelia Kerth, Elfriede Brüning, Heinrich Fink, Klaus Kinner, Kurt Pätzold, Ludwig Elm, Otto Köhler, Regina Girod, Stefan Stracke und Sven Fritz.
Sa./So., 28./29. Juni 2013, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6
(Veranstaltungsbericht von Mathias Wörsching, http://faschismustheorie.de)
Bei dieser Konferenz reihten sich ausnahmslos höchst informative und manchmal brillante Beiträge aneinander. Cornelia Kerth, eine der beiden Bundesvorsitzenden der VVN-BdA, und Dr. Regina Girod, Redakteurin der Zeitschrift „antifa“, leiteten immer souverän durch das Programm. Angesichts dessen und weil ich selbst der VVN-BdA verbunden bin, muss ich umso trauriger feststellen: Die „üblichen Verdächtigen“ sind an diesen beiden Tagen im Wesentlichen unter sich geblieben. Eine größere Außenwirkung hat diese Veranstaltung nicht entfaltet. Da wir nun weitgehend unter uns waren: Hätte die Zeit nicht besser für aktuell-strategische Diskussionen genutzt werden sollen? Haben uns die Vorträge an diesen beiden Tagen als Organisation geschichtspolitisch interventionsfähiger gemacht?
Als Prof. Heinrich Fink, der zweite Bundesvorsitzende der VVN-BdA, in seiner eröffnenden Ansprache forderte, dass der Begriff „Faschismus“ wieder zu einem Wort der Wissenschaft werden müsse, dachte ich: Das ist doch in der internationalen Geschichts- und Politikwissenschaft längst der Fall. Nur werden die entsprechenden Diskussionen, Arbeiten und Forscher in der VVN-BdA und generell in der antifaschistischen Bewegung Deutschlands kaum wahrgenommen. An diesem Defizit könnte sich auch einmal eine Konferenz abarbeiten.
Bewegend war die anschließende Lesung der 102-jährigen Schriftstellerin Elfriede Brüning, einer Zeitzeugin von 1933, die ihre Eindrücke von der nazistischen Bücherverbrennung schilderte. Diese fand am 10. Mai 33 kaum 300 Meter entfernt vom Ort der Konferenz auf dem heutigen Bebelplatz statt. Es ist der unschlagbare Vorteil der VVN-BdA, dass sie die authentische Erfahrung der Widerstandskämpfer/innen und Verfolgten (noch!) in die politische Debatte einbringen kann.
Dann kam der „Nestor der DDR-Faschismusforschung“ (R. Girod) an die Reihe: Prof. Kurt Pätzold. „Rassenkampf statt Klassenkampf. Ideologische und politische Grundlagen der Massengefolgschaft.“ hätte das Thema dieses Blocks sein sollen. Doch Kurt Pätzold weigerte sich, darüber zu sprechen. Die Konferenz mit der Frage der Massengefolgschaft zu beginnen, würde jenen Vorschub leisten, die von der Verantwortung der deutschen „Eliten“ für die Errichtung der Naziherrschaft ablenken wollten, so deutete er an. Das Publikum wurde durch einen glänzenden Vortrag entschädigt, der anhand einer Revue der entscheidenden Daten von 1933 und ihrer heutigen Beachtung oder Nicht-Beachtung nicht nur die Hintergründe der historischen Geschehnisse, sondern auch die Grundlinien heutiger Geschichtsklitterung verdeutlichte.
Doch so erhellend dieser Vortrag war, als Ersatz für das verpasste Thema der Massengefolgschaft taugte er nicht. Über dieses Thema könnte die VVN-BdA den Anschluss an die aktuellen Debatten schaffen und vielen populären Geschichtsfälschungen entgegentreten, die alles Grauen auf Hitler und seine engsten Kumpane engführen wollen und sich verständnisvoll in die „normalen Deutschen“ einfühlen, um diese zu entlasten. Vom Thema der historischen Massengefolgschaft aus könnte man auf das Problem der aktuellen Massenwirksamkeit von Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus kommen. Diese Chance wurde bei der Konferenz vergeben.
Pätzold rief dazu auf, in die Schulen zu gehen („Es geht!“), definierte den deutschen Faschismus als „Sieg der Konterrevolution von 1919“ und riet, sich auf die frühen Chancen des Widerstands von 1930 bis 1934 zu konzentrieren. Er verwies auf die doppeldeutige Rolle von SPD und Mehrheitsgewerkschaften, die zwar anders als die bürgerlichen Kräfte nicht mit fliegenden Fahnen zu den Nazis übergingen, aber doch versuchten, ihnen noch die Hand zu reichen. Er betonte die Rolle des akademischen Milieus als Avantgarde des Faschismus. In der Diskussion dann doch noch auf die Frage der Massengefolgschaft angesprochen, legte Pätzold dar, dass die Nazis unterschiedliche Gruppen unterschiedlich ansprachen, und nannte ihren „Jugend-Gestus“, ihren im Bürgertum populären Antikommunismus und die „Ermüdungsphase des Klassenkampfes“ als Gründe des Erfolgs der Faschisten. Außerdem machte er Hoffnung auf sein bevorstehendes Buch zur Massengefolgschaft.
Der anschließende Vortrag des Musikwissenschaftlers, Historikers und Ethnologen Sven Fritz aus Hamburg warf endlich starkes Licht auf das Zustandekommen der Massengefolgschaft. Es ging zurück bis zum „Turnvater“ Jahn und zur Entstehung der völkischen Ideologie in Deutschland. Fritz thematisierte die entscheidenden Vermittlungsinstanzen, die Nationalismus, Imperialismus, Militarismus, Rassismus und Antisemitismus im Bürgertum und darüber hinaus zum „kulturellen Code“ und zu vorherrschenden Ideologien machten, so das rechte Vereinswesen und die offiziellen Bildungs- und Kultur-Institutionen. Ein großer Teil des Vortrags widmete sich Houston Stewart Chamberlain, dem Verfasser des internationalen Bestsellers „Grundlagen des 20. Jahrhunderts“. Mit diesem Buch erschuf Chamberlain eine ungeheuer breitenwirksame Synthese der bis dahin disparaten völkischen, rassistischen und antisemitischen Ideologeme – die Blaupause der Nazi-Ideologie. Chamberlain war Hausfreund der Familie Wagner in Bayreuth, die bei der Faschisierung des deutschen Bürgertums eine noch größere Rolle als er spielte, hatte auch Kaiser Wilhelm II. zum Fan, und an seinem Lebensende begeisterte sich der rechte Erfolgsautor noch für Hitler. Chamberlain steht beispielhaft für ein Bürgertum, das sich durch Flucht in Allmachtfantasien, ja in eine neue Religion des Krieges und der Gewalt gegen die Realität immunisierte. Sven Fritz beginnt gerade seine Dissertation über Chamberlain – wir dürfen sie freudig und gespannt erwarten.
Am Morgen darauf ging es weiter mit dem Publizisten Otto Köhler und seinem Thema: „Ein Führer wurde gesucht. Gesellschaftliche Kräfte für Hitler.“ Köhlers Vortrag bildete den rhetorischen Höhepunkt der Konferenz und brachte interessante Details zur Unterstützung Hitlers durch eine wichtige Fraktion der Industriellen, zum Beispiel den Chemie-Konzern I.G. Farben. Köhler spannte den Bogen dann sehr umstandslos in die Gegenwart und stellte gleichwohl berechtigt fest: Das Programm der Zerschlagung des Sozialstaats und der deutschen Expansion ist seit 1990 von allen deutschen Regierungen erfolgreich umgesetzt worden. Deutschland beherrscht Europa.
Großes Gelächter dann, als Conny Kerth den nachfolgenden Referenten, Prof. Ludwig Elm, so ankündigte: „Er betritt das Mikrophon.“ Der Historiker und Konservatismus-Forscher aus Thüringen sprach zum Thema: „Eine Demokratie schafft sich ab. Zur Rolle der bürgerlichen Parteien.“ Der Komplex wird heutzutage in den Massenmedien mehr als diskret behandelt, weil die durch Helmut Kohl und Angela Merkel repräsentierte deutsche bürgerliche Rechte vergessen machen will, in welchem Ausmaß ihre direkten historischen Vorläufer – die Parteien Zentrum, BVP, DDP und DVP – den Nazis entweder zuarbeiteten oder vor ihnen widerstandslos kapitulierten. Elm belegte dies an einer ganzen Kette folgenreicher politischer Ereignisse aus dem 32-er und 33-er Jahr. Die linken Parteien waren es, die versuchten, den Parlamentarismus zu schützen, nicht die bürgerlichen. Seine aktuelle politische Schlussfolgerung: Dass die deutsche Rechte diese historische Schuld nie aufgearbeitet hat und bis heute einem militanten Antikommunismus anhängt, ist eine der Voraussetzungen für den Terror des NSU und anderer Nazi-Mörder.
Der anschließende Vortrag von Dr. Alexander Bahar beleuchtete mehr die Strategie der Naziführung. Bahar ist ausgewiesener Experte für die Hintergründe des Reichstagsbrands vom 27. Februar 33, den er mittels einer dichten Indizienkette der Nazi-Führung anlastet, und bemüht sich um eine unabhängige Neuuntersuchung des bis heute nicht restlos geklärten Vorfalls. Sein Referat deckte ein grundlegendes Strategem der Nazis auf, das sich von ihrer sogenannten „Kampfzeit“ über die Phase der Errichtung und Festigung ihrer Herrschaft bis zu ihrer abenteuerlichen Außenpolitik durchzieht: Sie inszenierten eine Eskalation der Gewalt, um mit dieser dann die Verschärfung ihrer Maßnahmen zu rechtfertigen. Ob es um den SA-Terror gegen die politischen Gegner vor 33, den Reichstagsbrand oder außenpolitische Provokationen wie den fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz geht – überall das gleiche Schema, das in einem stufenweisen Prozess in die Vernichtungspolitik führte.
Nach den Referaten Elms und Bahars entspann sich eine rege und ergiebige Diskussion. An die Adresse Köhlers und Elms ging die Kritik, dass sie die Kontinuität der bürgerlichen Herrschaft zu sehr betont hätten. Man müsse den qualitativen Unterschied zwischen parlamentarisch-demokratischer Herrschaft und Nazi-Diktatur stärker beachten. Mehrfach wurde thematisiert, wie harmlos die KPD trotz aller revolutionären Rhetorik in Wirklichkeit doch war und wie absurd sich daher die Bürgerkriegs- und Umsturz-Szenarien der Rechten heute ausnehmen. Ein Konsens schien sich zu bilden, dass die Massengefolgschaft einerseits und die Unterstützung der Nazis durchs Großkapital andererseits nie in falscher Opposition zueinander, sondern immer als einander bedingende Seiten eines Wechselverhältnisses aufgefasst und angesprochen werden müssten. Kurt Pätzold sprach noch einmal kluge Worte: Bei der Analyse der nazistischen Machtübernahme dürfe man nicht vergessen, wie stark der sichtbare Erfolg der Nazis die passive Mehrheit der Bevölkerung und auch die Mehrheit der Kapitalisten-Klasse beeindruckte. Die meisten Großbürger hatten lange die Deutschnationalen gegenüber der NSDAP bevorzugt; einige Konzerne wie Zeiss in Jena hatten sich auch mit SPD und Gewerkschaften arrangiert und praktizierten eine Vorform der Sozialpartnerschaft. Es war eine relativ kleine, aber gewichtige und entschlossene Gruppe nazistischer Industrie- und Finanzmagnaten, die 32/33 die Weichen stellte.
Den Abschluss der Konferenz bildete der Themenblock: „Die Spaltung wurde erst im KZ überwunden. Niederlage und Widerstand der organisierten Arbeiterbewegung.“ Zuerst sprach Prof. Klaus Kinner aus Leipzig, ein ausgewiesener Experte für die Geschichte der Arbeiterbewegung. Er lieferte eine schonungslose, vernichtende und wahre Kritik der verhängnisvoll verblendeten Politik der stalinisierten KPD und en passant auch der historischen Legendenbildung der SED (und der DKP, wäre hinzuzufügen). Von wegen, die Spaltung wurde überwunden – trotz guter Ansätze und viel guten Willens dauerte sie fort und wirkt bis heute nach. Der Stalinismus als Ideologie, organisatorische Struktur, Herrschaftsform und Politikstil war die Hauptursache des Versagens der KPD. Die schon religiöse Glaubensgewissheit, die Weisheit gepachtet und die historischen Gesetzmäßigkeiten auf seiner Seite zu haben, führte zu einer aus heutiger Sicht schon grotesken Unterschätzung der faschistischen Gefahr zugunsten einer illusionären Revolutionserwartung. Die falsche Faschismustheorie, die im NS im Grunde nur eine etwas verschärfte Form der bürgerlichen Herrschaft und in Hitler nicht viel mehr als einen weiteren autoritär regierenden Kanzler à la Brüning, Schleicher oder Papen sah, trug ebenso zur Katastrophe bei wie die stalinistische Neigung, mit Vorliebe andere Linke wie die als „Sozialfaschisten“ diffamierten Sozialdemokraten oder auch die in der Faschismus-Analyse viel klarsichtigeren KP-Oppositionellen, „Versöhnler“ und Trotzkisten zu bekämpfen. Zentralismus, Dirigismus, Schematismus und Bürokratismus wirkten sich unter den Bedingungen der Illegalität noch zusätzlich verheerend aus. Der üble Kern des Stalinismus, nämlich die Hinopferung des eigenen kritischen Denkens an ein zum Götzen gemachtes Partei-Kollektiv, trat in der furchtbaren Niederlage der KPD gegen den Faschismus klar zutage.
Dr. Stefan Stracke, Historiker aus dem Ruhrgebiet, hielt danach einen faszinierenden Vortrag über die roten Hochburgen in Wuppertal und Velbert, wo die Spaltung ansatzweise überwunden wurde und bis 1934 oder sogar 35 noch relativ offener Widerstand möglich war – bis nach großen Verhaftungswellen auch dort alles zusammenbrach und mit dem Erreichen der Vollbeschäftigung und leichten materiellen Verbesserungen der Großteil der Arbeiterklasse überlief oder Frieden schloss. Stracke zitierte aus dem Gedächtnis den KP-Spitzenmann Wilhelm Pieck: „Die Seele des deutschen Arbeiters ist vergiftet.“ Mit Kinners Ausführungen zusammengedacht, ergaben sich aus Strackes Vortrag noch einmal deutliche Akzentuierungen: Die Spaltung der Arbeiterbewegung lag nicht bloß an verfehlten Leitungsdirektiven, sondern wurde von der Basis leidenschaftlich gelebt. Dies lag bei den Kommunisten an der tiefen Erfahrung des sozialdemokratischen Revolutionsverrats von 1918/19. Die in Worten revolutionäre KP war in Wirklichkeit passiv abwartend und auf die Legalität fixiert, der Kampfwert von Rotfrontkämpferbund, militärpolitischem Apparat und Parteigeheimdienst gleich Null. Gleichzeitig zeigt die imponierende Widerstandsgeschichte von der Ruhr, wie groß das Potenzial der Arbeiterbewegung kurz vor und während der Etablierung der Nazi-Herrschaft war. Die Arbeiter hätten den NS verhindern können! Die Orientierung auf den Erhalt der eigenen Strukturen und die Arbeit in den Betrieben war prinzipiell richtig, die praktische Umsetzung dessen jedoch katastrophal.
Was folgte und die Konferenz beschloss, war eine emotionale Debatte über Kinners Thesen. Deutlich wurde, dass manche in der VVN-BdA eine Kritik an der KPD als Angriff auf die eigene Identität, die eigenen Vorbilder missverstehen. Einige Wortbeiträge relativierten und entschuldigten stalinistische Fehlentwicklungen. Kinner musste sich völlig unberechtigt vorwerfen lassen, das Andenken an die Widerständigen und Verfolgten beschädigt zu haben. Mehrmals wurde geäußert, dass die Verfehlungen der KPD immer nur zusammen mit denen der SPD zu erörtern seien – eine merkwürdige Forderung angesichts der vielen (berechtigten) Watschen, welche die SPD in vorangegangenen Beiträgen der Konferenz abbekommen hatte. Wie tief die Gräben wohl sind, zeigte ein Zwischenruf, der die schiere Existenz von Stalinismus abzustreiten schien. Ich hingegen merkte an, dass zentrale Elemente des Stalinismus, so die umstandslose Gleichsetzung von Faschismus und Kapitalismus und folglich auch Antifaschismus und Antikapitalismus sowie die Feindseligkeit gegen andersdenkende Linke, bis heute auch im Umfeld der VVN-BdA anzutreffen sind und nannte die Zeitung „Junge Welt“ als ein Podium dieser Tendenzen.[1] Stefan Stracke plädierte dafür, auch über die eigenen Niederlagen zu sprechen und nannte Gründe und Verlaufsformen der Spaltung nach 33: die innerlinken Kämpfe und stalinistischen Verbrechen im spanischen Bürgerkrieg, die Moskauer Schauprozesse, den Hitler-Stalin-Pakt, die Drangsalierung von KPO-Leuten und Trotzkisten sogar noch im KZ…
Die Abschlussworte von Conny Kerth und Regina Girod konnten das alles naturgemäß nicht mehr zusammenführen. Beide betonten die Notwendigkeit offener Diskussion, gegenseitiger Akzeptanz und kritischer Selbstreflexion.
Ich bin im Rückblick tief gespalten: Die Inhalte der Konferenz waren genau die, welche die VVN-BdA gegen den Mainstream in den Diskurs der BRD einbringen muss. Denn hier wird der Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus, wird die Verantwortung der deutschen sogenannten „Eliten“ für das Nazi-Unheil systematisch verschleiert – durch antikommunistische Lügen, Personalisierung, Dämonisierung, mediale Spektakel und abstrakten Moralismus. Insofern war der Fokus auf die gesellschaftlichen Führungsgruppen und das Bürgertum genau richtig und, wie gesagt, das Programm war ja auch hochkarätig besetzt und gut durchdacht.
Aber zu oft hatte ich den Eindruck, dass hier einem Publikum etwas lang und breit erzählt wurde, das es ohnehin nur zu gut schon wusste. Da wir von der VVN-BdA nun einmal mehr oder weniger unter uns geblieben sind, hätten wir vielleicht mehr über das „Wie“ unserer geschichtspolitischen Interventionen hören und reden sollen anstatt über die Fakten. Als einen großen Schwachpunkt der Konferenz sehe ich, dass sie kaum Bezug auf aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaftslandschaft nahm. So war sie etwa total auf Deutschland fixiert. In einem Block zum europäischen Vergleich hätten sich äußerst erhellende Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Hinblick auf Massen und Führungsgruppen aufzeigen lassen. Außerdem hätte man damit an den aktuellen Trend der internationalen Faschismusforschung anschließen können. Neuere „ideozentrische“ und „praxeologische“ Faschismustheorien kamen ebenso wenig vor wie die Forschungen zum Zusammenhang von Männlichkeit und Faschismus. Seltsam auch, dass an beiden Tagen ausschließlich Männer referierten. Hervorragend hätten bestimmte Themen und Autor/innen des erst vor Kurzem von Yves Müller und Reiner Zilkenat herausgegebenen Sammelbands zur „Bürgerkriegsarmee“ SA in diese Veranstaltung zu 33 gepasst. Sie hätten vielleicht interessante Rückschlüsse auf heutige Neonazis und „Autonome Nationalisten“, die sich bewusst und offensiv in die Traditionslinie der SA stellen, ermöglichen können.
Trotz all dieser Kritikpunkte muss den Mitwirkenden dieser Konferenz zum Schluss auch einmal gedankt werden für eine durchgängig gute und interessante Veranstaltung!
Mathias Wörsching
www.faschismustheorie.de
Juli 2013
[1] Ein krasses Beispiel dafür sind die Beiträge Susann Witt-Stahls und Michael Sommers vom Oktober 2012, die ich hier dokumentiert und erwidert habe: http://faschismustheorie.de/?page_id=170
„Lizenz zum Terror“
Das Jahr 1933, Vorgeschichte, Geschichte und Geschichtsbild
28./29. Juni 2013, Humboldt-Universität zu Berlin
Auch achtzig Jahre danach bleibt das historische Datum des 30. Januar 1933 Ausgangspunkt des geschichtspolitischen Streits in Deutschland.
Hier ist zunächst dem totalitarismustheoretischen Mythos entgegenzutreten, demzufolge eine mehr oder weniger funktionsfähige Demokratie unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre zwischen Extremisten von links und rechts zerrieben worden sei. Dem stellen wir die Frage nach den herrschenden Kräften der Weimarer Republik und ihren ökonomischen und politischen Interessen gegenüber. Welche Koalitionen, welche Optionen schienen ihnen zielführend?
Ursachen und Herkunft des Faschismus sind notwendige Bestandteile jeder Erinnerungsarbeit. Wir wollen mit unserer Konferenz in diese Debatte eingreifen:
Das Gedenken an die Opfer muss mit der Erinnerung an die Täter verbunden sein. Das heißt: Benennung der Schuldigen und Nutznießer an der Errichtung der Nazi-Herrschaft in Deutschland und an der Entfesselung des Krieges. Wer stellte die Weichen?
Die Erforschung der „Wurzeln des Faschismus“ muss auch nach den politischen und ideologischen Grundlagen der Massengefolgschaft faschistischer Herrschaft fragen. Wie konnte die „Volksgemeinschaft“ zum Erfolgsmodell werden, das den ganzen Krieg überstand?
Und schließlich, welchen Beitrag haben die politischen Parteien zum Weg in den NS-Staat geleistet, welche Alternativen gab es, wer stand dafür ein, woran scheiterten sie?
Es soll eine Veranstaltung sein, auf der – auch kontrovers – über die Geschichtsbilder zum Jahr 1933 diskutiert wird.
Das Programm
Freitag 28 Juni 2013 |
Thema |
ReferentInnen |
19.15 |
Eröffnung der Konferenz |
Elfriede Brüning/ Heinrich Fink
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19.30 – 20.30 |
Rassenkampf statt Klassenkampf. Ideologische und politische Grundlagen der Massengefolgschaft |
Kurt Pätzold, Sven Fritz
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20.30 – 21.30 |
Diskussion über die Thesen der Referate
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Samstag 29. Juni 2013 |
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9.15 – 10.45 |
Ein Führer wurde gesucht . Gesellschaftliche Kräfte für Hitler |
Otto Köhler, Hannes Heer
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11.15 – 13.00 |
Eine Demokratie schafft sich ab. Zur Rolle der bürgerlichen Parteien |
Ludwig Elm, Alexander Bahar
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14.15 – 16.15 |
Die Spaltung wurde erst im KZ überwunden. Niederlage und Widerstand der organisierten Arbeiterbewegung |
Klaus Kinner, Stephan Stracke
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16.30 – 17.00 |
Schlussfolgerungen für die aktuellen Aufgaben der VVN-BdA |
Regina Girod, Cornelia Kerth
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