»Geistige Sendungen«

Die Gleichschaltung des Rundfunks unter Joseph Goebbels

Von Hanno Harnisch

Die Stimme des Rundfunkreporters Wulf Bley überschlägt sich am Abend des 30. Januar 1933: »Wir sind noch einmal wiedergekommen. Stundenlang hat der Vorbeimarsch gedauert. Er dauert noch immer an; immer höher und höher ist der Jubel dieser Hunderttausende geschwollen, die hier vorbeigezogen sind, zusammengesetzt aus allen Gruppen, die jetzt zu einer einzigen Willenseinheit zusammengeschmolzen sind.« Bley steht inmitten der Nazigrößen, die am selben Tage Hitlers Minister wurden und nun ihre »Machtergreifung« mit einem Fackelzug feiern, und bittet Hermann Göring, jetzt auch noch das Mikrofon zu ergreifen: »Dieser Abend war wohl das Gewaltigste, das Berlin erlebt hat. Hunderttausende und Aberhunderttausende SA, SS, Stahlhelm, Volk und immer wieder Volk strömten vorbei. Strömten herbei, um den geliebten Führer zu sehen.« Stimmen aus »dem Volk« werden in die Sendung eingespielt, die den »geliebten Führer« feiern. Es ist schon zu ahnen, was mit denen passieren wird, die ihm an diesem Tag nicht zujubeln wollen. Ein erschreckendes Zeitdokument, welches im Deutschen Rundfunk-Archiv akustisch diesen 30. Januar des Jahres 1933 wieder aufleben lässt.
»Der Rundfunk ist im nationalsozialistischen Staat einer der Hauptfaktoren für die politische Erziehung des Volkes geworden. Niemals hat der Rundfunk im öffentlichen Leben eine derartige Rolle gespielt wie im Jahre 1933.« Diese zwei nüchternen Sätze stammen nicht aus einer späteren Analyse der Rolle der Medien, insbesondere des Rundfunks, bei der »Machtergreifung« Hitlers und der NSDAP, sondern von Eugen Hadamovsky, dem Leiter der »Reichsrundfunkkammer«. In gleichem Atemzug lobt er seinen Chef, Dr. Joseph Goebbels, im Januar 1933 noch Reichspropagandaleiter der NSDAP. Als ein paar Tage nach der Reichstagswahl vom 5. März das »Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung« gegründet wird, wird Goebbels Minister. Allein im Jahr 1933 lässt er 50 Hitlerreden im Rundfunk übertragen. Der Gemeinschaftsempfang dieser Reden wurde organisiert. Das moderne Massenmedium, das es erst seit zehn Jahren gab, hatte nicht nur einfach »Sendungen« zu übertragen, es musste die »Neue Zeit«, die von den Nazis pseudoreligiös verklärt wurde, mit »geistigen Sendungen« propagieren. Schnell und gründlich sollte der »Systemfunk« der Weimarer Republik, der inhaltlich dem Innenministerium, technisch dem Postministerium zugeordnet war, einer »Funkrevolution« unterzogen werden. Die bestand im Wesentlichen in der Besetzung der Schaltstellen durch von Goebbels handverlesene »Führer«- treue Kader. Der Propagandaminister forderte am 25. März 1933 die Intendanten der noch bestehenden Rundfunkanstalten auf, den »Reinigungsakt« von jüdischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Mitarbeitern selber zu erledigen: »Tun Sie das nicht, oder wollen Sie nicht, wird das von uns gemacht«. Kein Vierteljahr später waren alle Intendanten abgesetzt, bis auf einen, der der NSDAP beitrat.
In einem Rundschreiben Hitlers vom 15. Juli 1933 heißt es: »Auf dem Gebiet des Rundfunks muss das Reich die unbeschränkte Verfügungsgewalt nicht nur über das öffentliche Rundfunknetz haben, sondern auch über die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft.« Staatskommissare und Programmbeiräte werden abgeschafft, das Goebbels-Ministerium übernimmt zu 100 Prozent den Rundfunk. Nur ausgewählte Mitglieder der Reichsrundfunkkammer dürfen noch journalistische Beiträge verfassen. Das alles bedeutet: Gleichschaltung. Die Aktivierungspropaganda von Goebbels wird ergänzt durch Integrationspropaganda, die dazu beitragen soll, die »Volksgemeinschaft« vor dem »Volksempfänger« – im Volk »Goebbels-Schnauze« genannt – auszubilden. Dieses billige Empfangsgerät, der VE 301, wurde allein von 1933 bis zur Funkausstellung 1935 in Berlin 1,3 Millionen Mal gebaut und – Teilzahlung möglich – verkauft. 1941 verfügte der »Großdeutsche Rundfunk«, wie er seit 1937 hieß, über 16 Millionen Radioabonnements.
Wir erinnern uns: Ein fingierter Überfall auf den Sender »Gleiwitz« diente als Vorwand, um den Krieg gegen Polen und somit den Zweiten Weltkrieg zu beginnen. Die Meldung dazu kam – über den Rundfunk. Und so, wie mit dem Rundfunk die Herrschaft der Nazis begann, so verkündete er auch ihr Ende. Am 7. Mai 1945 konnte man über den letzten intakten Sender, Flensburg, keine Wunschkonzerte mehr hören, dafür aber die Nachricht von der Kapitulation Deutschlands. Da lag Hitlers verkohlte Leiche schon acht Tage im Hof der Reichskanzlei, hatten Goebbels und seine Familie Gift geschluckt. Das Ende einer »Funkrevolution«.

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ePaper – 26. Januar 2008